Fehlendes Eis im Eisfach ist im Sommer ein Ärgernis – starke Vereisung in der Luftfahrt stellt jedoch auch heute noch ein potentiell katastrophales Risiko dar. Um dieses frühzeitig zu detektieren, wurde in der Abteilung Adaptronik ein auf in der Struktur geführten Ultraschallwellen, sogenannten Lambwellen, basierender Eissensor entwickelt, der die Eisanlagerung an der Flugzeugstruktur detektieren kann. Der erste Teil der Entwicklung mit Windkanalversuchen wurde bereits in einem Blogbeitrag erwähnt. Windkanalversuche decken jedoch nicht das volle Spektrum der Tröpfchenverteilungen in realen Wolken ab, weswegen Flugversuche für einen Nachweis der Funktion unerlässlich sind.
Anpassung des Sensors und Vorbereitung des Flugversuches
Im letzten Teil des SENS4ICE Projektes, in dessen Rahmen die Entwicklungsarbeiten am „Local Ice Layer Detector“ (LILD) genannten Sensor stattfanden, sind zwei Flugversuchskampagnen vorgesehen. Der LILD Sensor wurde dabei in der europäischen Kampagne installiert, die im April 2023 mit einer ATR42 stattfand. Dieses Flugzeug wird vom „Service des Avions Français Instrumentés pour la Recherche en Environnement“ – kurz Safire – betrieben . Der Sensor selbst besteht aus zwei Komponenten. Die piezoelektrischen Elemente, die zum Erzeugen und Messen der Lambwellen dienen, sind beim Flugversuch auf der Innenseite der Vorderkante des Messtechnikpylons unter dem Flügel montiert. An dieser Stelle erfolgt die Detektion der Eisanlagerung mit dem Sensor. Die Messelektronik selbst ist im klimatisierten Rumpf untergebracht.
Für die Vorbereitung des Flugversuches sind drei Schritte erforderlich: Erstens sind die Sensorelektronik und Software an die Anforderungen des Flugversuches anzupassen. Zweitens sind die piezoelektrischen Elemente in die Flugzeugstruktur zu integrieren. Drittens ist das Gesamtsystem des Sensors noch zu kalibrieren.
Als Basis für die Flugversuchsmesstechnik dient eine Spezialprozessor, der ein Field Programmable Gate Array (FPGA) mit einem Zweikern-Mikrocontroller auf einem Chip vereint. Das FPGA übernimmt die Signalerzeugung und Messdatenaufzeichnung. Die Auswertung der gemessenen Signale und die Detektion des Eises erfolgen im Mikrocontroller. Dieser Aufbau wurde schon bei den Windkanalmessungen in ähnlicher Form genutzt. Die Weiterentwicklung für den Flugversuch beinhaltet die Spannungsversorgung aus dem Bordnetz des Flugzeugs, Multiplexer für mehrere Messkanäle sowie Schnittstellen zum Datennetzwerk des Flugversuchs. Parallel dazu erfolgte die Portierung der Software für die Eisdetektion von der Offlineauswertung nach Ende der Windkanalmessungen auf den Mikrocontroller. Dies erlaubt die Detektion der Eisanlagerung in Echtzeit.
Zur Montage der piezoelektrischen Elemente wurde die originale Vorderkante des Messtechnikpylons der ATR42 nach Braunschweig geschickt. Nach der Montage erfolgte die Kalibrierung des Gesamtsystems im Eiswindkanal am Institut für Mechanik und Adaptronik der TU Braunschweig. Dies ist zur Identifikation der relevanten Lambwellenpulse und der Analyse der Änderung der Pulse bei Eisanlagerung.
Versuchsdurchführung
Die Flugversuche fanden am Flugplatz Toulouse Francazal (LFBF) statt, wo Safire sowie die ATR42 stationiert sind. Der Zeitraum im April 2023 stellt sicher, dass eine Mindesthöhe der Nullgradgrenze eingehalten werden kann. Dies erlaubt auf dem Flugzeug befindliches Eis bei Bedarf durch einen Sinkflug in wärmere Luftschichten abtauen zu können, da das Flugzeug kein thermisches Eisschutzsystem besitzt. Die Wahl dieses Zeitraums Anfang Frühling reduziert das Risiko temperaturbedingt nicht fliegbarer Wetterlagen deutlich. Der Preis dafür ist, dass dadurch auch die Wahrscheinlichkeit für passende Vereisungsbedingungen sinkt, wenn im April trockene Hochdruckgebiete über Südfrankreich vorherrschend sind. Letztendlich war das Wetter für die Versuche mit genügend durchziehenden Warm- und Kaltfronten hervorragend geeignet, so dass die gesamten 50 Flugstunden, die für das Projekt geplant waren, auch abgeflogen werden konnten. Die angetroffenen Wetterlage beinhalteten eine Reihe verschiedener Vereisungsbedingungen, die auch unterkühlte große Tropfen (Supercooled Large Droplets – SLD) umfassten, Diese SLD-Bedingungen sind von besonderer Bedeutung für die Luftfahrt, da sie auch moderne Eisschutzsysteme überfordern können.
Messergebnisse
Im Nachgang des Flugversuches fand die Auswertung der durch den LILD Sensor aufgezeichneten Messdaten statt. Dabei zeigte sich anhand des Vergleiches der Messdaten des LILD Sensors mit den Referenzmessdaten, dass LILD die Eisanlagerung in allen Vereisungszyklen erfolgreich detektiert hat. Die Messtechnik hat zudem während der Flugversuche ohne Ausfälle funktioniert.
Ausblick
Mit dem erfolgreichen Flugversuch des Sensors bestehen die Folgeschritte darin, die Genauigkeit des Sensors weiter zu steigern. Das Vorhandensein des Eises konnte zuverlässig detektiert werden. Die Messung der Eisdicke ist aktuell noch mit zu hohen Querempfindlichkeiten verbunden, als dass man sie jetzt schon zur Bewertung der Vereisungsbedingungen einsetzen kann, weswegen dafür weiterer Forschungsbedarf vorhanden ist. Daneben ist eine Weiterentwicklung der Elektronik auf dem Weg zur Industrialisierung erforderlich. Anwendungsfelder bietet einerseits die Luftfahrt, wo ein solcher kompakter Sensor, sowohl bei großen, als auch als Nachrüstlösung für kleine Flugzeuge einsetzbar ist. Ein weiteres Feld stellt die Eisdetektion an Fahrzeugen, eisempfindlichen Infrastrukturen oder sogar an den Verdampfern von Kühlgeräten oder Wärmepumpen dar.