Methoden des maschinellen Lernens bieten das Potenzial, die Ergebnisse von qualifizierenden Brandprüfungen anhand schneller und einfacher Screening-Tests vorherzusagen. Insbesondere ermöglicht das dem Produktdesigner bereits in der Auslegungsphase neue nachhaltige Materialien zu verwenden, für die bislang noch keine Erfahrungswerte zum Brandverhalten vorliegen. Die Prognose grenzt anhand der Screening-Tests die Materialauswahl so weit ein, dass sich teure und aufwendige Nachweis- und Qualifikationsprüfungen auf den aussichtsreichsten Materialkandidaten beschränken. Auch Materialentwickler profitieren von solchen Prognosen, da die trainierten Modelle die Haupteinflussfaktoren für bestimmte Brandkennwerte identifizieren und quantifizieren. Dies ermöglicht ein gezieltes Materialdesign für brandgefährdete Strukturen.
Das Modell geht zur Schule
Als einfaches Brand-Screening-Verfahren dient die kombinierte thermogravimetrische Analyse (TGA) und Differenzkalorimetrie (DSC). Der Einsatz eines Probenwechslers ermöglicht die kontinuierliche Prüfung einer hohen Stückzahl an Proben, die nur geringe Abmessungen aufweisen. Als qualifizierende Brandprüfverfahren in dieser Machbarkeitsstudie kommen der UL94-Test und das Cone-Kalorimeter zum Einsatz. Ausgewählte Kennwerte, die mit diesen Messverfahren erzeugt wurden, gehen bis auf einen kleinen Teil, der zur Validierung des Modells zurückbehalten wird, als Inputdaten (TGA/DSC) und Outputdaten (UL94 und Cone) in das Modell ein. Das Modell lernt somit den Zusammenhang zwischen Input- und Outputdaten durch Anpassung der Parameter an die Trainingsdaten. Die Auswahl eines geeigneten Modells für die jeweilige Fragestellung hängt insbesondere vom Umfang der verfügbaren Daten und der Komplexität des gesuchten Zusammenhangs ab. In dieser Studie ist ein One-vs.-Rest-Klassifikationsmodell gut geeignet, um die Ergebnisse des UL94-Tests abzubilden, während ein LASSO-Modell gut geeignet ist, um die Ergebnisse des Cone-Kalorimeter-Tests vorherzusagen. In beiden Fällen handelt es sich um lineare Modelle, eines zur Klassifikation und eines für die Regression. Beide Modelle können auch bei kleineren Trainingsdatensätzen sinnvoll eingesetzt werden.
Mit viel Erfahrung bis zum Brandschutzexperten
Zur Auswertung aller Daten verarbeiten die trainierten Modelle sowohl die zurückbehaltenen als auch die zum Training verwendeten Inputdaten. Alle so prognostizierten Daten stehen zum Vergleich den real gemessenen Daten aus den UL94- und Cone-Kalorimeter-Tests gegenüber. Sogar das in dieser Studie über Brandschutzmittelkonzentrationen nur geringfügig modifizierte Verhalten der verschiedenen Probensätze ist durch das trainierte Modell gut abgebildet. Die LASSO-Koeffizienten des Modells für den jeweiligen Output-Kennwert haben für diejenigen Input-Parameter hohe positive oder negative Kennwerte, deren Variation den größten Einfluss auf das prognostizierte Ergebnis haben. Wird zum Beispiel ein geringer MARHE-Wert angestrebt, der ein Indiz für die Brennbarkeit eines Materials ist, muss erwartungsgemäß ein größerer Anteil an Flammschutzmitteln eingesetzt werden. Es ist aber auch erkennbar, dass sich ein erhöhter gewichteter Heizwert und eine reduzierte Wärmestromspitze in der ersten Verbrennungsstufe positiv auswirken. Als Maßnahme sind somit Zusätze förderlich, welche die Verkohlung der Probe begünstigen. Diese Wirkzusammenhänge bleiben ohne die Auswertung der LASSO-Koeffizienten zunächst einmal unerkannt.
Bis zur Technologiereife des Modells bedarf es allerdings einer weiteren Investition. Bis dahin gilt es, weitere Variationen der Parameter, wie Brandschutzmittel mit verschiedenen Wirkmechanismen und Synergisten sowie verschiedene Materialkombinationen, einzubinden und eine insgesamt größere Datenbasis zu untersuchen. Ein wichtiger Meilenstein ist die aktuell angestrebte Normierung der Brandscreening-Methode, durch die potenziell eine Vergrößerung der zur Verfügung stehenden Datenbasis resultiert.
Eine weitere aussichtsreiche Anwendung der Methode ergibt sich aus der Übertragung auf die Vorhersage von Pyrolyseprozessen beim Recycling von Faserverbundwerkstoffen.