Der Klimawandel ist eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Wir leisten unseren Beitrag zur CO2-Reduktion, indem wir daran forschen, die erneuerbaren Energien preiswerter zu machen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern. Im Projekt ViSion (Validierung von Simulationswerkzeugen zur Beschreibung von Windenergieanlagen) verfolgen wir das Ziel „Virtueller Windpark“ der programmorientierten Förderung IV in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF). Kern der Forschungsarbeit ist die Vernetzung und Validierung multidisziplinärer Simulationswerkzeuge. Zukünftig sind wir damit in der Lage, Windparks für beliebige Standorte und die Wirkung neuer Technologien hochgenau zu beschreiben und zu bewerten. Die Arbeiten im Projekt ViSion flankieren den Aufbau der Deutschen Forschungsplattform für Windenergie, DFWind. In ViSion werden Szenarien und die Roadmap definiert, wie ein Windparkmodell beschrieben und validiert werden kann.
ViSion leistet einen wichtigen Beitrag für die BMWi-Initiative zur Digitalisierung der deutschen Wirtschaft. Wesentliche Instrumente der Teildisziplinen Meteorologie, Aerodynamik, Rotordynamik, Aeroakustik, Aeroelastik und Strukturmechanik sowie Aspekte ihrer Kopplung werden hier auf digitaler Basis entwickelt, validiert und bereitgestellt. Die entwickelten Werkzeuge können einzeln oder kombiniert zum Aufbau eines digitalen Zwillings verwendet werden. Dieser erlaubt neben der digitalen Ist-Beschreibung der realen Anlagen oder des realen Parks auch eine Prognose über deren zukünftiges Verhalten.
Was braucht man für einen Windpark?
Die Modellierung eines Windparks besteht aus vielen Komponenten. Neben der strukturellen Beschreibung der Windenergieanlage werden atmosphärische Simulationen mit verschiedenen Detailfragen benötigt. Im Gegensatz zur Simulation einer einzelnen Anlage muss der Nachlauf der Anlage gut beschrieben werden, da dies die Einströmung der zweiten Anlage darstellt. Neben dieser komplexen physikalischen Beschreibung des Windparks möchten wir auch die Energieerzeugungskosten und Akzeptanz bewerten. Dieser Ansatz erlaubt es uns, Technologien zukünftig schon in einem frühen Reifegrad zu bewerten. So ist beispielsweise eine Technologie, die einerseits den Ertrag steigert, aber andererseits auch den Lärm, problematisch, da sie zu einer Abnahme der Akzeptanz führt.
Atmosphäre und Wind
Damit wir diese Prozesse abbilden können setzen wir im Projekt ViSion diverse Disziplinen ein, die miteinander interagieren sollen. Wind ist dabei der zentrale Faktor. Daher startet die Analyse mit meteorologischen Modellen am Institut für Physik der Atmosphäre. Dort wird das atmosphärische Verhalten vor (Vorlauf) und hinter (Nachlauf) einer Windturbine im Tagesgang simuliert. Die Dynamik der Atmosphäre, die wesentlich von der Oberfläche (Gebäude, Hügel, Bäume, etc.) beeinflusst ist, prägt die Ausbreitung und die Ausdehnung des Nachlaufs hinter der Turbine. Die Abbildung zeigt 50-min-Mittelwerte der Windgeschwindigkeiten vor und hinter dem Rotor (ohne Turm). Durch die starke Turbulenz kann sich die Winddrehung von Südwest auf West nicht durchsetzen.
Die hochgenaue Beschreibung des Atmosphärenverhaltens vor und hinter einer Anlage ist die Eingangsgröße für aerodynamische Simulationen. Die aerodynamischen Lasten, die auf das Rotorblatt einer Windkraftanlage wirken, spielen eine wesentliche Rolle für die strukturelle Auslegung des Blattes. Deren korrekte Vorhersage stellt eine große Herausforderung für die realitätsgetreue Wiedergabe turbulenter Strukturen innerhalb der atmosphärischen Grenzschicht dar. Hierfür ist die Anwendung sogenannter LES (=Large Eddy Simulation)-Verfahren erforderlich. Diese hochgenauen Verfahren ermöglichen einerseits die Verifikation vereinfachter schneller Methoden. Andererseits dienen die Ergebnisse als Input für akustische Modelle zur Bewertung der Schallabstrahlung. Je nach Richtung und Stärke wird diese Abstrahlung als Lärm unangenehm empfunden und führt wesentlich zu Akzeptanzproblemen.
Anlagenmodelle
Trifft die aerodynamische Strömung auf die Windenergieanlage, dann entstehen neben dem Eigengewicht zusätzliche Belastungen. Diese sorgen zum einen dafür, dass sich der Rotor dreht und elektrischen Strom erzeugt. Zum anderen bewirkt die Strömung, dass sich das Blatt deformiert. Wesentliche Arbeiten in ViSion bestehen darin, den etablierten Lastenprozess um alternative Formen der Rotorblattmodellierung zu erweitern und somit möglichst umfassend deren Auswirkungen auf simulierte Lasten und strukturelle Eigenschaften zu bestimmen. Neben der Quantifizierung der Unterschiede wird im Zuge der Validierung der Genauigkeitsgrad der Modellierungen gegenüber einem Referenzmodell festgestellt. Um eine multidisziplinäre Simulation und ggf. auch eine Optimierung einer Windenergieanlage sinnvoll durchführen zu können, werden schnelle Methoden zur Lastenrechnung der auslegungsrelevanten Betriebsfälle (starke Windböen, Notausschaltung der Windenergieanlage etc.) benötigt. Hierzu soll das neuartige generische Aeromechanikprogramm VAST (Versatile Aeromechanics Simulation Tool) für Windenergieanwendungen erweitert und validiert werden. Die Berechnung der Strukturdynamik erfolgt durch das an VAST gekoppelte Mehrkörpersimulationsprogramm Simpack, während die Blattaerodynamik und Nachlaufberechnung mit Modellen unterschiedlicher Komplexität, bspw. einem Freewake-Verfahren, in VAST behandelt werden.
Bewertung
Durch die Anlagenmodelle verstehen wir das Verhalten gesamter Windenergieanlagen oder Windparks. Für die Technologiebewertung benötigen wir allerdings detailiertere Modelle, die es uns ermöglichen neue Werkstoffe, Bauweisen, Produktionsprozesse etc. zu beschreiben. Am Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik entwickeln wir hierzu Modellierungs– und Bewertungsmethoden.
Neben der Gesamtrotorblattmodellierung wollen wir strukturmechanische Versagenskriterien validieren. Es soll hierdurch eine Bewertung von Schäden in Windrotorblättern, welche beispielsweise bei einer Inspektion gefunden worden sind, ermöglicht werden. Es werden Modelle auf verschiedenen Ebenen erstellt und validiert, bspw. virtuelle Materialtests, Subkompententests etc.. Wir entwickeln dafür peridynamische Modelle. Diese erlauben uns virtuelle Experimente, um beispielsweise neue Materialien und deren Wirkweise in einer Windenergieanlage schnell bewerten zu können. Stellt sich das neue Material, eine neue Technologie oder Bauweise als strukturell sinnvoll heraus, muss sie noch hinsichtlich ihres Kosten- sowie CO2-Fußabdrucks bewertet werden. Hier spielen die Produktionseffizienz für die Stromerzeugungskosten (Cost-of-Energy) sowie der globale CO2-Fußabdruck der Rotorblätter eine wichtige Rolle. In ViSion und über das Projekt hinaus führen wir Messungen mit Hilfe einer Smart-Workstation (SWS) durch. Die SWS ist ein automatisiertes echtzeitfähiges Datenerhebungswerkzeug, das in der Rotorblattproduktion eingesetzt werden kann. Die relevanten Elementarflussparameter werden im Eco-Efficiency Assessment Model (EEAM) als Produktionsbewertungswerkzeug genutzt, um bestehende Prozesse zu bewerten und zukünftige Technologien abzuschätzen.
Framework
Die Analysen in einer solchen multidisziplinären Kette sind nur sinnvoll, wenn viele Berechnungen unter verschiedensten Bedingungen durchgeführt werden. In ViSion entwickeln wir Methoden, um eine automatisierte Unsicherheitsanalyse (UQ: Uncertainty Quantification) zu ermöglichen. Sie erlauben es uns, die Effekte streuender Designparameter oder unsicherer physikalischer Randbedingungen zu untersuchen. Dies dient zum einen der Verifizierung der numerischen Stabilität jeweiliger Auslegungsprozesse und zum anderen der Validierung numerischer Ergebnisse im Vergleich mit Messdaten oder anderen höherwertigen Simulationsergebnissen.
Im Projekt ViSion werden verschiedenste Ingenieurdisziplinen gekoppelt und gemeinsame Analysen als auch Validierungsarbeiten realisiert. Unser zukünftiges Ziel besteht darin, diese Fähigkeiten bereitzustellen, um neue Technologien und Standorte zu bewerten und somit einen Beitrag zur Energiewende leisten.
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