Windenergie ist eine zentrale Komponente der zukünftigen regenerativen Energieversorgung. Für maximale Erträge sind Windenergieanlagen heute auf beeindruckende Ausmaße gewachsen, bei denen die Blätter bereits durch Ermüdungslasten infolge des Eigengewichts und durch Turbulenz, Windgradienten und Böen stark belastet sind. Einen Ausweg bieten smarte Rotorblätter, die die Ermüdungslasten reduzieren. In den vom BMWi geförderten Projekten Smartblades und Smartblades 2 sind in den letzten Jahren verschiedene Konzepte erforscht worden. Ende 2019 wurde das Konzept eines Rotorblatts mit flexibler Hinterkante im Windkanal an der Universität Oldenburg validiert. Die Experimente bestätigen die erwartete Strömungsbeeinflussung, mit deren Hilfe die Ermüdungslasten auf dem Rotorblatt ausgeregelt werden können.
Mit Flexibilität für eine lange Lebensdauer
Eine Maßnahme zur Reduktion von Ermüdungslasten durch Biegemomente an der Blattwurzel ist die Nutzung einer flexiblen Hinterkante. Diese wechselnden Biegemomente entstehen in erster Linie durch Schwankungen in der Anströmung der Anlage, z. B. durch Böen, Windgradienten, Turbulenz oder den Mastschock, wenn das Rotorblatt am Anlagenmast vorbeizieht. Die Hinterkante wirkt dabei auf die Strömung wie das Ruder eines Flugzeugs und kann Schwankungen in der Anströmung durch einen Ausschlag ausgleichen, sodass sich der Auftrieb des Profils nicht ändert. Im Gegensatz zu Flugzeugen, bei denen starre Steuerflächen mit Gelenken eingesetzt werden, verwendet die entwickelte Hinterkante ein neuartiges flexibles Konzept, bei dem die gesamte Hinterkante kontinuierlich verformt wird. Dies erlaubt, die Hinterkante geschlossen auszuführen, sodass kein Wasser, kein Staub und keine Insekten eindringen können. Nur so lassen sich für den kosteneffizienten Betrieb von Windenergieanlagen ausreichend lange Wartungsintervalle erreichen.
Zur experimentellen Untersuchung der Strömungsbeeinflussung fand Ende 2019 ein Windkanalversuch im Windkanal der Universität Oldenburg statt. Dabei wurde der Profilauftrieb für sieben Ausschlagwinkel der Hinterkante bei Strömungsgeschwindigkeiten zwischen 10 m/s bis 30 m/s ermittelt. Die erwartete Änderung des Profilauftriebes infolge des Ausschlags der Hinterkante konnte dabei bestätigt werden. Die Resultate decken sich mit den Ergebnissen, die vom Projektpartner ENERCON in Simulationen erzielt wurden.
Da die flexible Hinterkante im Gegensatz zur langsamen Blattverstellung an der Blattwurzel sehr schnell agieren kann, sind weitreichende Änderungen der Aerodynamik auch mehrfach pro Blattumlauf möglich. Mit einer geeigneten Anlagenregelung in Kombination mit der flexiblen Hinterkante besteht ein großes Potenzial, die Ermüdungslasten der Anlage signifikant zu reduzieren.
Nächster Schritt: Erprobung auf einer Experimentalturbine
Aufgrund der bisher erzielten positiven Resultate mit der flexiblen Hinterkante besteht der nächste Schritt darin, die Technologie an einem realen Rotorblatt zu erproben. Reale Rotorblätter weisen, im Gegensatz zu den bisherigen Demonstratoren, eine dreidimensionale Geometrie mit Zuspitzung, Verwindung und veränderlichen Profilen auf. Um diese Eigenschaften abzubilden, wurde im letzten Schritt des Projektes Smartblades2 ein parametrisches Finite-Elemente (FE)-Modell der flexiblen Hinterkante aufgebaut. In einem Folgeprojekt wird auf Basis des erstellten FE-Modells ein Rotorblatt mit flexibler Hinterkante für die Geometrie der Versuchsanlage ausgelegt und drei Rotorblätter gefertigt. Damit sind Untersuchungen zur Struktur und zur Technologie des Rotorblatts und der flexiblen Hinterkante in einer realen Umgebung möglich. Darüber hinaus kann das Lastminderungspotenzial durch verschiedene Ansteuerverfahren der Hinterkante experimentell ermittelt werden.