Vielfältig sind die Einsatzbereiche für flächige Strukturen an Satelliten: Solar Arrays zur Stromerzeugung, Bremsfallschirme für das Deorbiting, Solar Sails als Antrieb oder Sonnenblenden zur Abschattung.
Dazu bedarf es meist großer Flächen aus sehr dünnen Folien. Sie müssen sich für den Raumtransport in einem kleinen Paket verstauen lassen und im Orbit wieder zur vollen Größe entfalten und stabilisieren können. Bei größeren Satelliten helfen dabei oft aufrollbare Masten, sogenannte Booms. Für Kleinsatelliten, wie standardisierte CubeSats, ist eine besonders leichte und kompakte Lösung gefragt.
Die Herausforderung besteht darin, die schlaffe Folie aus sich selbst heraus zu entfalten und zu stabilisieren.
Wie soll das gehen? Die Lösung ist von der Natur abgeschaut. Der Ohrwurm, im Volksmund auch Ohrenkneifer genannt (Ordnung Dermaptera), kann seine Flügel ganz besonders kompakt und hocheffizient falten. Doch lässt sich dieses Prinzip auch auf eine technisch machbare Struktur übertragen und dabei von wenigen Quadratmillimetern Fläche auf einige Quadratmeter hochskalieren?
Zum Glück sind die Anforderungen an die Steifigkeit aufgrund der herrschenden Schwerelosigkeit nicht sehr hoch. Es muss also vor allem gelingen, dass sich die Struktur sauber ausbreitet und selbst stabilisiert.
Wie das im Detail gehen kann, dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von NASA und DLR gemeinsam Lösungen entwickelt und sie in einem kleinen Erprobungssatelliten verwirklicht. Der „BionicWingSat“ getaufte Prototyp hat bei der Parabelflugkampagne 2021 unter Bedingungen der Schwerelosigkeit bereits bewiesen, dass die Entfaltung funktioniert.
Konzeptforschung für die Zukunft im Weltraum
Für zukünftige große, sehr leichte, funktionale flächige flügelähnliche Strukturen an Satelliten oder anderen Raumfahrzeugen hat das Projekt BionicWingSat neue Konzepte entwickelt und untersucht. Diese Strukturen mussten faltbar und wieder selbstentfaltbar sein. Solche funktionalen Flächen sind zum Beispiel Solar Arrays zur Stromerzeugung, Bremssegel zum gezielten Abbremsen von ausgedienten Satelliten zur Vermeidung von Weltraumschrott, Solar Shades zum Abschatten von Instrumenten oder auch Sonnensegel zum Vortrieb durch Sonnenstrahlung. In Zusammenarbeit mit den NASA-Kolleginnen und Kollegen sowie unterstützt durch einige studentische Arbeiten ist dabei ein ganz neues Konzept herausgekommen. Es vereint die hohe Packungseffizienz von Ohrwürmern (Dermaptera) sowie mechanische Elemente ihrer Flügel mit der Robustheit von Libellenflügeln. So ist die neue Flügelstruktur wie ein System aus versteifenden Adern mit integrierten elastischen Gelenken aufgebaut. Das bietet zum einen eine steife entfaltete Fläche und enthält zum anderen Faltlinien, die beim Loslassen den Flügel mithilfe von gespeicherter Energie selbst entfalten. Das Konzept kombiniert eine umlaufende Zick-Zack-Faltung mit einem anschließenden Aufwickeln des Paketes um eine zentrale Spule.
Weitere Untersuchungen betreffen die Simulation diverser Varianten, mechanische Labortests einzelner Elemente, 3D-Druck-Versuche, Vorauswahl und Analyse von Materialien und Druckertypen sowie die Untersuchung verschiedener Fertigungsverfahren für ganze Flügel. Ziel ist es, die Flügelstruktur später direkt auf Folienmaterial zu drucken. Jeweils zwei Flügel sind zu einem Flügelmodul zusammengebaut und durch eine Schnell-Austausch-Nabe verbunden. Eine eigens entwickelte realistische Erprobungsplattform dient dazu, die Dynamik der Entfaltung abzubilden. Diese Plattform heißt BionicWingSat, kurz WingSat, im Format eines 2U-CubeSats (internationaler Standard für Nanosatelliten, 2U = 10 cm x 10 cm x 20 cm). Dieser kann ferngesteuert seine Türen öffnen und die Flügel entriegeln. Er verfügt über Sensoren zur Aufnahme von Orientierung und Beschleunigung in alle Achsenrichtungen. Zudem kann er alle Daten live an einen Rechner übertragen. Signalleuchten zeigen seinen Status an. Eine programmierte Timer-Funktion lässt den WingSat auch bei Remote-Verlust manuell auslösen. Zwei GoPro-Kameras am WingSat filmen die Entfaltung der Flügel.
Entfaltung von BionicWingSats frei fliegend.
Freiflug und Versuche in künstlicher Schwerelosigkeit
Die Tests erforderten umfangreiche Vorbereitungen. Bodenversuche halfen, die Reaktionskräfte vom WingSat infolge der Türöffnung und der Flügelentfaltung zu messen. Dazu diente ein eigens entwickelter und gebauter flacher Teststand mit Kraft- und Beschleunigungssensoren. Doch trotz „gravity compensation“ konnten sich die Flügel mit ihrer ultraleichten Bauweise unter der Erdanziehungskraft nicht vollständig und flach entfalten. Wie erwartet waren Versuche unter Schwerelosigkeit unumgänglich. Die Parabelflugtests untersuchten den WingSat in zwei Zuständen: fixiert am ebenfalls fest verankerten Teststand und frei fliegend wie im Orbit. Ein Rechner löste dabei die WingSats ferngesteuert aus. Das Versuchsteam musste nach jeder Entfaltung das Flügelmodul mit einem Schnellverschluss wechseln und wieder sicher in einer Transportbox verstauen. Der Plan sah daher nur für jede zweite Parabel eine Entfaltung vor, um mit zwei WingSats zwölf Flügelpaare entfalten zu können. Davon haben elf funktioniert mit je nach Flügelvariation unterschiedlichen, aber vielversprechenden Ergebnissen. Für alle Entfaltungen ließen sich Messdaten und Videos aus verschiedenen Perspektiven aufnehmen. Die Tests haben gezeigt, dass das Grundprinzip sehr gut funktioniert. Dabei waren einige Varianten etwas besser als andere. Wie die Versuche auch offenbart haben, ist weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit notwendig, um zum Beispiel das Kriechen des Strukturmaterials infolge der engen Faltungen in den Griff zu bekommen. Lösungen dafür sowie ein weiterentwickeltes Strukturdesign liefern später die Grundlage für reale Tests im Orbit.
Bei Fragen und für weitere Informationen steht Ihnen Herr Dr.-Ing. Martin Zander gern zur Verfügung.