Aktive Systeme zur Lärmreduktion sind seit Jahren Gegenstand zahlreicher Forschungsvorhaben. Im Bereich der Flugzeugkabine hebt das EU-Projekt ACASIAS (EU Horizon 2020, Grant Nr. 723167) aktive Systeme auf eine neue technologische Entwicklungsstufe. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie gelingt die Integration aller Komponenten in einem autarken, für die Serienfertigung geeigneten Flugzeug-Seitenwandpaneel. Seine kompakte Bauweise und die sehr gute Reduktion von tieffrequentem Lärm sind ein Türöffner für energieeffiziente, aber laute Antriebe im Flugzeugbau.
Propellertriebwerke – effizient, aber laut
Im Green Deal der EU-Kommission sind ehrgeizige Ziele zur Reduktion des CO2-Ausstoßes formuliert. Alternative Antriebskonzepte und Energieträger werden die Luftfahrtindustrie im kommenden Jahrzehnt vor neue Herausforderungen stellen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass auch bereits existierende Antriebe ein enormes CO2-Einsparpotenzial gegenüber den gängigen Strahltriebwerken bieten. Flugzeugantriebe mit koaxial, gegenläufig rotierenden Propellern sind laut Untersuchungen in der Lage, den Kerosinverbrauch und somit die CO2-Emissionen um bis zu 25 % zu senken. Ein wesentlicher Nachteil dieser Triebwerke ist ihre sehr hohe Schallemission im tieffrequenten Hörbereich. Sie führt zu einer inakzeptabel hohen Schallexposition der Passagiere. Im tieffrequenten Bereich ist mehr Dämmung mit mehr Masse gleichzusetzen, was im Flugzeugbau indiskutabel erscheint.
Schutz durch Integration
Eine Lösung des Problems stellen aktive Seitenwandpaneele zur Lärmreduktion dar. Integrierte Sensoren messen die Schwingungen einer Struktur, ein Regler bewertet sie und steuert mittels Aktuatoren die Schwingungen so um, dass die Schallabstrahlung der Struktur deutlich gesenkt wird. Die Sensoren und Aktuatoren sind sensible elektromechanische Bauteile. Verbaut auf der Rückseite von Seitenwandpaneelen im Flugzeug unterliegen sie starken Temperaturschwankungen und dem Einfluss von Feuchtigkeit und Staub. Die im Projekt ACASIAS entwickelten zweigeteilten Inserts bieten einen Schutz der Komponenten und vereinen Integration, Wartbarkeit und Serientauglichkeit. Das Basisteil des Inserts ist platzsparend in das in Sandwichbauweise gefertigte Paneel eingelassen. Es ist mittels einer gewichtsoptimierten, flexiblen Leiterbahn mit der Regelung verbunden. Das Oberteil des Inserts beinhaltet die funktionale Komponente, also wahlweise einen Sensor oder einen Aktuator. Neben der mechanischen Verbindung wird während des Fügevorgangs des Ober- und des Basisteils auch die elektrische Kontaktierung mittels Federkontakten hergestellt.
Virtuelle Mikrofone
Die Lärmreduktion für die Passagiere ist eines der Hauptziele im Projekt ACASIAS. Eine Messung des Schalldrucks am Ohr des Passagiers schließt sich aus Gründen der Modularität und des Verkabelungsaufwandes des aktiven Systems kategorisch aus. Die Überbrückung des scheinbaren Widerspruchs gelingt mittels des Verfahrens der virtuellen Mikrofone. Dieses innovative Verfahren schätzt auf Basis von gemessenen Schwingungen des Paneels auf dessen Schallabstrahlung bis hin zum Schalldruckpegel am Ohr des Passagiers. Auf Mikrofone in der Kabine kann folglich verzichtet werden. Im Akustik-Labor am Institut konnte die Wirksamkeit des aktiven Paneels experimentell nachgewiesen werden. Bei Anregung mit Propellerlärm wurde der Schalldruckpegel im Sitzbereich der Passagiere um bis zu 84 % gesenkt.
Die Aktuatoren des aktiven Systems lassen sich nicht nur zur Lärmreduktion, sondern auch zur Schallerzeugung nutzen. Auf dem aktiven Paneel eingespielte Passagierdurchsagen ersetzen die klassischen Durchsagen und das gesamte Lautsprechersystem.
Das aktive Seitenwandpaneel zur Lärmreduktion ist somit ein Türöffner für energieeffiziente Triebwerke und ein Baustein zur Reduktion der CO2-Emissionen in der Luftfahrt. Gerade im Hinblick auf das elektrische Fliegen mit Propellerantrieben werden sich in der Zukunft viele weitere Anwendungsszenarien eröffnen.