Eigens für diese Anwendung hat das DLR einen geeigneten Entfaltungsmechanismus entwickelt und bereits umfangreich getestet. Der Mechanismus und die Stützstruktur verwenden äußerst dünnwandige Masten aus Kohlenstofffaserverbundwerkstoffen, die die NASA bereitstellt. Um das gesamte Kreuz aus vier Masten als Struktur für das spätere Segel entfalten zu können, ist viel Platz erforderlich – so viel, wie ihn in Braunschweig nur der Flugzeughangar des DLR bieten kann.
Neben den funktionalen Prüfungen des Entfaltungssystems durchlaufen die Masten auch Lasttests im Prüfstand des DLR. Aufgrund ihrer extrem dünnwandigen Bauweise ist es jedoch unmöglich, die Masten in der Horizontalen ohne Kompensation der Schwerkraft zu testen. Der Prüfstand des DLR ist deswegen vertikal eingerichtet. Dennoch bleibt immer eine gewisse Restunsicherheit, was den Einfluss der Schwerkraft auf die Messungen betrifft.
Die Parabelflugkampagne im Juli 2021 war eine optimale Gelegenheit für realitätsnahe Tests ohne Schwerkrafteinfluss. Damit bestand die Chance für einen horizontalen Testaufbau entlang des Flugzeuggangs. Der Versuchsaufbau stützt sich auf fahrbare Schlitten, die mit Hilfe der graphischen Programmiersoftware LabView sowohl eine Kraft- als auch Wegsteuerung zulassen. So ist die Belastung der Masten mit einer spezifischen Kraft oder alternativ eine Auslenkung um einen definierten Weg mit gleichzeitiger Messung des jeweils anderen Wertes möglich.
Ein Seilrollenzug überträgt die Aktion des fahrenden Schlittens auf das freie Ende des Masts, während das andere Ende im Entfaltungsmechanismus verankert ist. Ein Stereokamerasystem bestehend aus 16 Kameras, die im Flugzeug entlang des Handlaufs auf der gegenüberliegenden Kabinenseite angebracht sind, registriert dabei die lastbedingten Verformungen. Der Mast verfügt über mehr als 1.500 unregelmäßig aufgebrachte weiße Punkte, um Verschiebungen und Verdrehungen um alle drei Achsen mit dem Kamerasystem erfassen zu können.
Realitätsnahe Versuche unter Schwerelosigkeit im Parabelflug
Mit dem Seilzugsystem ließen sich sowohl symmetrische als auch asymmetrische Lasten einleiten, was zu entsprechenden Druck- oder Biegebelastungen führte. Wiederholtes einseitiges Auslenken in schneller Folge versetzte den Mast in Schwingungen und bot die Möglichkeit, auch Daten zum dynamischen Verhalten aufnehmen zu können.
Insgesamt ließen sich während der 30 Parabeln viele Tests an einem der vier Masten durchführen. Aufgrund des beschränkten Raums in der Flugzeugkabine war es verständlicherweise nicht möglich, alle Masten als Kreuz aufzuspannen. Einen Mast in seiner ganzen Länge und sein Verhalten mit dem Versuchsaufbau überhaupt testen zu können, ist jedoch für sich bereits ein großer Erfolg.
Trotz des straffen Zeitplans und der aufwendigen Betreuung der Tests hat ein großer Teil der Versuche verwendbare Daten hervorgebracht. Ein besonderes Augenmerk lag hierbei auf dem dynamischen Verhalten des Gesamtsystems. Fragestellungen waren zum Beispiel: Wie stark fängt der Mast bei kleinen Anregungen an zu schwingen? Wie weit biegt er sich dabei um seine Längsachse? Und wieviel Kraft braucht es, um ihn wieder geradezubiegen? Die statischen Kennwerte des Masts, zum Beispiel Biegesteifigkeit oder Druckfestigkeit, werden mit den Tests im vertikalen Prüfstand sowie mit durchgeführten Simulationen abgeglichen. So helfen sie, die bisher gewonnenen Aussagen abzusichern. Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, wie Kamerasystem, Entfaltungsmechanismus und Seilrollensystem zur Lastaufbringung, welche zum ersten Mal in dieser Dimension zusammenwirkten, funktionierte sehr gut. Bisherige Bodentests haben den Mast immer nur abschnittsweise betrachtet, sodass das umfassende Kamerasystem hier neue Erkenntnisse bringt, die in die Simulationen mit einfließen.
Die nächsten Schritte bestehen darin, das Gesamtsystem aus Masten, Folie und Mechanismus für einen Einsatz im Weltall zu qualifizieren. Im Detail bedeutet das zum Beispiel die Anpassung von Materialien, die Abstimmung von Reibpaarungen hinsichtlich der möglichen Temperaturunterschiede und die Auswahl von Schmiermitteln für Vakuumanwendungen. Anschließend stehen für das ganze System Tests an, um sowohl die Belastung infolge des Raketenstarts als auch die Bedingungen im Weltraum nachzustellen und die Haltbarkeit und Standfestigkeit des Systems nachzuweisen.
Für weitere Informationen und weitergehende Anfragen steht Ihnen Herr Martin Richter gern zur Verfügung.