Sicherheit und Zuverlässigkeit stehen im Schienenverkehr ganz weit oben. In Europa gelten daher zahlreiche Normen und Regelwerke mit Empfehlungen für anzunehmende Sicherheitsfaktoren. Sie beruhen jedoch historisch bedingt auf Erfahrungen mit Metallen. Für eine nachhaltige Mobilität bieten Faser-Kunststoff-Verbunde (FKV) mit ihren hervorragenden gewichtbezogenen Eigenschaften hohes Leichtbaupotenzial. Dieses vollständig zu erschließen gelingt mit angepassten und probabilistisch, d. h. über Ausfallwahrscheinlichkeiten, begründeten Sicherheitsfaktoren. Eine 1:1-Übertragung der Beiwerte für Metalle kann zu einer unverhältnismäßig konservativen Auslegung führen. FKV-Leichtbaupotenziale blieben ungenutzt. Umfangreiche, hier durchgeführte Untersuchungen von brandgeschützten FKV-Systemen helfen, probabilistisch begründete Sicherheitsfaktoren zu berechnen. Ziel ist es, geltende Sicherheitsbestimmungen zu erfüllen und das FKV-Leichtbaupotenzial vollständig auszuschöpfen.
Ermittlung von Bemessungswerten
Die Auslegung und Dimensionierung von FKV-Strukturen benötigen Bemessungswerte („Design Values“) unter anderem für den rechnerischen Festigkeitsnachweis. Diese Bemessungswerte lassen sich üblicherweise in einem zweistufigen Verfahren ermitteln. Im ersten Schritt findet eine statistische Abminderung von Versuchswerten statt. Die Werte stammen aus mehreren Coupontests. Damit lässt sich die natürliche Streuung der FKV-Materialeigenschaften berücksichtigen. In einem weiteren Schritt reduzieren zahlreiche Abminderungsfaktoren bezüglich Unsicherheiten der Fertigung, Einsatztemperatur und weiteren branchenspezifischen Aspekten die statistisch ermittelten, sogenannten charakteristischen Kennwerte. Klassische, deterministische Auslegungsverfahren bewerten den Einfluss der einzelnen Unsicherheiten empirisch oder basierend auf Erfahrungswerten. Die Multiplikation der einzelnen Abminderungsfaktoren liefert einen materialseitigen Sicherheitsfaktor (Teilsicherheitsbeiwert). Abminderungen um den Faktor zwei bis vier sind üblich. BerechnungsingenieurInnen setzen dabei ein Worst-Case-Szenario voraus und sind damit auf der „sicheren Seite“. Doch ist das notwendig? Ist es wirklich wahrscheinlich, dass der schlimmste Fall innerhalb der Lebensdauer des Systems eintritt?
Probabilistische Sicherheitskonzepte
Um Aussagen über die tatsächliche Ausfallwahrscheinlichkeit eines Systems zu treffen, haben sich unter anderem im Bauwesen semi- und vollprobabilistische Auslegungskonzepte durchgesetzt. Auch bei der Auslegung von Rotorblättern von Windenergieanlagen und in weiteren Branchen deutet sich ein Trend hin zu solchen Auslegungskonzepten an. Mit diesen Konzepten, die unter anderem geometrische Toleranzen und natürliche Streuungen auf der Last- und Materialseite betrachten, lassen sich bei festgelegtem Ausfallrisiko (üblicherweise 10-5 – 10-9) optimierte Teilsicherheitsbeiwerte berechnen. AnwenderInnen sind demnach in der Lage, Entscheidungen über ein akzeptierbares Ausfallrisiko zu treffen und können von der Annahme des Worst-Case-Szenarios begründet abweichen. Dies ist aus Leichtbauaspekten sowie ökonomischer und ökologischer Sicht anzustreben und bietet großes Potenzial für ressourcenschonenderen FKV-Einsatz.
Gemeinsam zum Ziel
Mit gemeinsamen Forschungsaktivitäten und einer Industriepatenschaft mit der J.M. Voith SE & Co. KG in Salzgitter untersucht das Institut potenziell geeignete FKV-Systeme für das Bahnwesen, die den hohen Brandschutzanforderungen nach DIN EN 45545 gerecht werden. Die enge Kooperation mit den Voith-ExpertInnen aus Fertigung, Berechnung und Konstruktion gewährleistet die Praxistauglichkeit und Anwendbarkeit des probabilistischen Sicherheitskonzepts. Die Mitarbeit in einschlägigen Normungsgremien des Schienenverkehrs leistet darüber hinaus einen aktiven Beitrag zum Technologietransfer und unterstützt mit branchenübergreifender Expertise ExpertInnen aus der Industrie bei der Erstellung neuer Standards für den Schienenverkehr.