Im Juli 2021 hat das DLR bereits seine 37. Parabelflugkampagne durchgeführt. Diesmal im Fokus: Tests verschiedener, entfaltbarer Strukturen für Raumfahrtanwendungen. Das Grundelement für fast alle Konzepte ist dabei der aufrollbare Leichtbau-Mast des DLR.
Was die Struktur selbst anbetrifft, hat dieser Mast bereits in vorangegangenen Projekten einen hohen Grad an Perfektion und eine beeindruckende Effizienz erreicht. Ein entscheidender Punkt bei dieser Art der entfaltbaren Gesamtstruktur (z. B. ein Solar Array) ist jedoch die richtige Befestigung der Masten am Satelliten. Um neue Methoden zur Verbesserung des Interface zu erproben, standen zwei vielversprechende Konzepte im Mittelpunkt der Parabelflugtests.
Die Sache mit den festen Wurzeln
Unser Institut forscht seit nahezu drei Jahrzehnten an aufrollbaren Leichtbaumasten. Ursprünglich entwickelt für riesige Sonnensegel, nutzen heute verschiedene entfaltbare Strukturen diese Masten als Grundelemente. Sie sind aus sehr dünnen Lagen kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffs hergestellt. Infolge seiner geringen Wanddicke von ca. 0,15 mm lässt sich der Mast ohne Beschädigung flach drücken und aufrollen.
Um die Tragfähigkeit des Mastes voll auszunutzen, wäre an der Verbindungsstelle zwischen Mast und Satellit eigentlich eine vollkommen feste Einspannung wünschenswert ähnlich wie bei der Verbindung eines Baumstamms mit dem Boden durch die Baumwurzeln. Für einen einzelnen, komplett abgerollten Mast ist das mit einem speziellen Klemmblock umsetzbar. Da der Mast aber in einem Abrollmechanismus steckt, muss er während der Entfaltung durch seine Einspannung hindurchlaufen können. Daher besitzen die Mechanismen keine feste Einspannung, sondern lediglich eine Mastabstützung. Dies reduziert die Belastbarkeit des Mastes im Vergleich zur idealen Einspannung. Umgekehrt heißt das, der Mast muss größer und schwerer sein, um die erforderliche Belastbarkeit zu gewährleisten.
Zur optimalen Ausnutzung der Maststruktur hat das DLR zwei verschiedene Konzepte entwickelt.
Konzept 1 – Schwebender Stützkern
Die erste Variante verbessert die Mastabstützung durch eine stärkere Anbindung des Mastes an den Satelliten. Klassische Abstützungen führen den Mast nur durch einen äußeren Führungsring (orange im Bild). Unter Belastung neigt der Mast an dieser Stelle jedoch zum Kollabieren. Das bedeutet, der Mastquerschnitt drückt sich flach und der Mast knickt ab. Ein Kern, der den Mast auch von innen abstützt, könnte dies verhindern. Er lässt sich jedoch nicht in seiner Position fixieren, da ihn der Mast von allen Seiten umschließt. Er würde beim Ausrollen des Mastes einfach mit aus der Mastabstützung herausgleiten.
Abhilfe schafft das vom DLR entwickelte und patentierte Prinzip des schwebenden Stützkerns. Hierbei nutzt der Kern die Flexibilität der dünnen Mastwandung aus, um den inneren Kern mithilfe einer speziellen Anordnung von ineinandergreifenden Rollen zu fixieren. Ein dünner Spalt zwischen äußerer Stützschale und dem schwebenden Kern erlaubt dem Mast das Ein- und Ausfahren. Der Querschnitt bleibt in Form und kann nicht mehr kollabieren. Erste Belastungstests haben ergeben, dass sich das Lasttragvermögen des so gestützten Mastes auf bis zu 190 % erhöht.
Konzept 2 – Wurzelentfaltung
Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt das ebenfalls vom DLR patentierte Konzept der sogenannten Wurzelentfaltung. Nach dem vollständigen Abrollen entfaltet ein spezieller Mechanismus den Wurzelquerschnitt des Mastes und arretiert ihn. Dieser Mechanismus ist in die Mastspule integriert. Er verriegelt bei der Entfaltung der Mastwurzeln auch zeitgleich die Mastspule im äußeren Gehäuse, sodass die Spule nicht mehr rotieren kann. In der Animation ist der Bewegungsablauf vom flachen zum entfalteten Mastquerschnitt zu sehen. Der Mast (grau-teiltransparent) ist auch hier nicht vollkommen fest eingespannt, sondern an den vier Blöcken (orange) befestigt.
Nachweis im Parabelflug
Viele Experimente am Boden hatten bereits belegt, dass beide Konzepte die Tragfähigkeit der Masten erhöhen. Die 37. DLR-Parabelflugkampagne im Juli 2021 diente u. a. dazu, die Nutzbarkeit in der Schwerelosigkeit endgültig nachzuweisen.
Bei beiden Konzepten waren die Mastenden mit je einer Kamera bestückt, um ein dort angebrachtes Messinstrument zu simulieren. Um die 2 m langen Masten in realistischer Geschwindigkeit abrollen zu können, erfolgte das Ausfahren abschnittsweise verteilt auf 3 bis 4 Parabeln, da eine einzelne Parabel nur 20 Sekunden Schwerelosigkeit bietet.
Die Tests im Flugzeug verliefen zufriedenstellend. Beide Systeme konnten die Masten sicher aus- und einrollen. Das Schwingungsverhalten zeigt, dass beide Anbindungen dem Ideal der festen Wurzeln deutlich näher gekommen sind. Konzept 1 wirkte in Summe jedoch etwas robuster und ausgereifter. Beide Konzepte haben ihre Zuverlässigkeit bewiesen und können abgestimmt auf die jeweilige Mission zur Anwendung kommen.
Bei Fragen oder weitergehendem Interesse steht Ihnen Herr Dr.-Ing. Marco Straubel gern zur Verfügung.
Prinzip der Wurzelentfaltung