Das hat ein Team von Wissenschaftlern um Oliver Völkerink näher untersucht. Als Gegenstand der Betrachtungen haben sie einfach überlappte Klebverbindungen gewählt. Im Fachjargon heißen sie einschnittige Überlappungsklebungen und kommen in der Praxis häufig vor.
Ihre Ergebnisse präsentieren die Wissenschaftler in ihrer preisgekrönten Publikation Strength prediction of adhesively bonded single lap joints with the eXtended Finite Element Method (Links zur Publikation: ELIB; Journal) oder im Klartext: „Wie genau und zuverlässig lässt sich die Festigkeit dieser einschnittigen Überlappungsklebungen mit geeigneten Material- und Berechnungsmodellen vorhersagen?“. Dies ist eine entscheidende Frage. Ihre Beantwortung hilft, das Potenzial einer solchen Klebverbindung mit Sicherheit maximal auszunutzen und so Leichtbau noch effektiver zu gestalten.
Dazu hat das Forscherteam ein weiterentwickeltes numerisches Berechnungsverfahren, die sogenannte eXtended Finite Element Method, kurz XFEM, genutzt. Es beruht auf der Methode der Finiten Elemente und kann das Versagensverhalten infolge von Rissphänomenen weitaus realitätsnäher abbilden als andere Verfahren. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen.
Nicht erst der Klimawandel und seine Folgen zwingen zu einem nachhaltigeren und ressourcenschonenderen Wirtschaften. Für technische Produkte und Prozesse heißt die Konsequenz, eine Funktion mit weniger Material- und Ressourceneinsatz mindestens ebenso gut zu erfüllen. Für Strukturbauteile führt dies unmittelbar zum Leichtbau: Luft- und Raumfahrt funktionieren gar nicht ohne; Verkehr und andere Technikbereiche profitieren davon ebenso. Erfolgreicher Leichtbau bedient sich nicht nur spezifisch fester und steifer Werkstoffe (Stoffleichtbau), geometrisch steifer Strukturen (Formleichtbau) und berücksichtigt die Einsatzbedingungen (Bedingungsleichtbau). Er erfordert auch leichte Fügetechniken. Hier können Klebverbindungen ihre Vorteile ausspielen. Klebungen leiten Lasten flächig über Schubkräfte ein. Sie brauchen dazu weder zusätzliche Bauteile noch Bohrungen wie bei Bolzenverbindungen, die wegen begrenzter Lochleibungsfestigkeit oftmals Materialaufdickungen erfordern. So verfügen Klebverbindungen über ein sehr günstiges Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht. Die verwendeten Klebstoffe sind außerdem sehr beständig gegen Korrosion.
Herausforderung Festigkeitsvorhersage
Das Spannungs- und Festigkeitsverhalten von Klebverbindungen zuverlässig vorherzusagen, ist jedoch nach wie vor eine große Herausforderung.
Einfache spannungsbasierte Versagenskriterien sind aufgrund der vorhandenen Spannungsspitzen in den Randbereichen der Klebung nicht geeignet. Um dieses Problem zu umgehen, werden zum jetzigen Stand der Forschung energiebasierte Methoden, speziell die Kohäsivzonenmodellierung, eingesetzt. Dies erfordert jedoch eine genaue Kenntnis des entstehenden Bruchpfads, da dieser vor der Berechnung vorgegeben werden muss. Dazu bedarf es besonders erfahrener BerechnungsingenieureInnen.
Vielversprechender Ansatz mit XFEM
Die eXtended Finite-Elemente-Methode (XFEM) bestimmt den Bruchpfad dagegen erst während der Berechnung und kann damit die realen Verhältnisse wesentlich genauer abbilden als eine vereinfachende Vorgabe durch den/die AnwenderIn. Das Verhalten des so entstandenen Bruchpfads lässt sich wiederum mit den bekannten energiebasierten Methoden vorhersagen.
Die Publikation gibt Antworten auf zwei wesentliche Fragen: Ist die XFEM-Methode für die Vorhersage des mechanischen Verhaltens von dünnen Filmklebstoffen grundsätzlich geeignet? Und: Wie beeinflussen verschiedene kontinuumsmechanische Plastizitätsmodelle für den Klebstoff die XFEM-Festigkeitsvorhersagen?
Als Untersuchungsobjekte dienen Prüfkörper aus Aluminiumfügeteilen und einschnittigen Überlappungsklebungen, sogenannten Single Lap Joints oder kurz SLJ. Experimentelle Versuchsergebnisse liefern die Grundlage zur Bewertung der numerischen XFEM-Festigkeitsvorhersage. Die während der Versuche aufgezeichneten digitalen Bildkorrelationsdaten (DIC) erlauben dabei die Ermittlung des Dehnungszustands über die gesamte Länge der Klebschicht. Diese Daten ermöglichen einen umfassenden Vergleich zwischen Experiment und numerischer Analyse.
Es zeigt sich, dass XFEM in Kombination mit einem sorgfältig ausgewählten Fließkriterium und geeigneten Materialparametern eine valide Technik für die Festigkeitsvorhersage von Überlappungsklebungen ist, da die Varianz zu den Experimenten stets weniger als zehn Prozent, bei den besten Modellen sogar weniger als ein Prozent beträgt.
Die Vorhersage der Bruchlast mit dem drucksensitiven exponentiellen Drucker-Prager-Modell ist genauer als mit einem einfachen von-Mises-Fließkriterium. Dazu ist jedoch eine aufwändigere experimentelle Charakterisierung des Klebstoffs erforderlich.
Hervorragender Tauglichkeitsnachweis
Insgesamt konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich mit dem XFEM-Berechnungsverfahren und einem gut gewählten Materialmodell für den Klebstoff die Festigkeit von schubbelasteten Klebverbindungen genau und zuverlässig vorhersagen lässt. Die Abweichung vom Experiment beträgt nur wenige Prozent. Detailkonstruktionen von geklebten Strukturen lassen sich mit dieser Methode präzise analysieren und bewerten.
Für die Zukunft bleibt noch, den geringen Unterschied zwischen den experimentell ermittelten Dehnungen aus der digitalen Bildkorrelation (DIC) und den berechneten Werten aus der Finite-Elemente-Analyse (FEA) weiter zu untersuchen. Außerdem ist zu klären, welchen Einfluss die Dicke der Klebschicht auf die Genauigkeit der Vorhersage hat.
Ausgehend von diesem grundlegenden Tauglichkeitsnachweis für isotrope Fügeteile soll die XFEM-Analyse auch bei der Bewertung von komplexeren geklebten Faserverbundstrukturen zur Anwendung kommen.