Der globale Flugverkehr ist ein stark expansiver Wirtschaftszweig, der sowohl der Luftfahrtindustrie als auch der Tourismusbranche hohe Umsätze ermöglicht. Die Angst vor der Verbreitung des Corona-Virus hat jedoch seit Beginn 2020 z. B. den innerdeutschen Flugverkehr zeitweise um bis zu 75% zurückgehen lassen. Konzepte zur Reduzierung der Keimlast sind zwingend erforderlich. Tatsächlich finden sich im Flugzeug auf den ausklappbaren Tischen und den Sanitäranlagen die größten Keimbelastungen. Um dieses Risiko auch für zukünftige Pandemien zu reduzieren, beschäftigen sich das DLR-Projekt Keimfreies Fliegen und das Luftfahrtforschungsprogramm-Projekt FIONA (Funktions-Integrierte Optimierte Neuartige Additive Strukturen) mit antimikrobiellen Oberflächen. Neben der aerosolbasierten Übertragung mittels kleinster Tröpfchen in der Atemluft, die erfolgreich mit Masken und Luftfiltern reduziert werden kann, liegt der Fokus bei den hier vorgestellten Projekten auf biologischen Oberflächenfilmen und deren energieeffiziente, schneller und dauerhafter Neutralisierung. Dabei soll einerseits mit Faserverbundoberflächen gearbeitet werden, in die antimikrobielle Materialien eingebettet wurden und die gleichzeitig auch thermisch aktiviert werden können. Andererseits wird die Herstellung antimikrobieller Oberflächen durch 3D-Druck untersucht. Die große Designfreiheit der additiven Fertigungstechnologie erlaubt eine schnelle Herstellung funktionsintegrierter Multimaterialbauteile, sodass für die Airlines eine wirtschaftliche Nachrüstung mit antimikrobiellen Kabinenbauteilen möglich ist.
Eine Keimzelle der Zusammenarbeit
Das Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik stellt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Werkstoffforschung kleine Musterproben der Materialsysteme her. Am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin werden alle Proben gereinigt und anschließend auf Basis unterschiedlicher Flugprofile getestet und mikrobiologisch bewertet. In einer ersten Versuchsserie sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit den Bedingungen bei einem Kurzstreckenflug nachempfunden, während die zweite Versuchsserie die Bedingungen eines Langstreckenfluges simuliert. Zur Bewertung der antimikrobiellen Wirksamkeit der Oberflächen wird u. a. die Änderung der Zellenanzahl (cell forming units, CFU) während einer bestimmten Zeit erfasst. Diese Ergebnisse werden in einer Kabinensimulation des Instituts für Systemarchitektur in der Luftfahrt genutzt. Hierbei soll in einer virtuellen Kabine die Keimentwicklung je nach Material, Sitzplatz, Umgebungsbedingungen und Flugdauer simuliert werden, um so Vorhersagen für einen späteren Flugbetrieb und einen sicheren Umgang mit der Keimbelastung ableiten zu können.
Hier keimt die Innovation
Für das Projekt wurden mehrere Strategien der Materialintegration untersucht. Dabei wird grundsätzlich zwischen den laminatbasierten Beschichtungen und den 3D-gedruckten Schichten unterschieden. Der Laminataufbau ermöglicht die Integration von Funktionsschichten wie Metallnetzen oder Heizfolien, die zusätzlich zu den passiven Eigenschaften der Materialien diese aktiv erwärmen und damit Keime abtöten können. Beide Strategien erlauben eine Zumischung von keimabtötenden, nanoskaligen Additiven, wie z. B. kupfer-, zink- oder silberhaltige Partikel, in die Polymermatrix. Da diese Partikel zum großen Teil von der Harzmatrix oder dem Thermoplast umgeben sind, ist ihre Wirksamkeit eingeschränkt. Aus diesem Grund wird als barrierefreies Konzept die Applikation von plasmagestützten nanoskaligen Schichten direkt auf der Kontaktfläche untersucht.