Technisch komplexe Systeme – ob im Bereich Luftfahrt, Raumfahrt, Energie oder Verkehr – erfordern heutzutage intelligente Lösungen zur Zustandsüberwachung und Anpassung. Fusionierte Sensor-KI-Konzepte sind in diesem Zusammenhang besonders vielversprechend. Sie verknüpfen diverse, von einem Sensornetzwerk erfasste Daten, kompensieren mögliche Fehler und Ausreißer, erweitern den Datensatz und interpretieren ihn. Mit den derzeit am DLR entwickelten Sensor-KI-Systemen sollen somit u.a. präzisere Lebensdauerbewertungen und vorausschauende Wartungsmaßnahmen für Windenergieanlagen möglich sein.
Sensor-KI-Systeme als Wettbewerbsvorteil
Wirtschaftliche Faktoren, wie gestiegene Energie- und Personalkosten, technologische Fortschritte im Bereich KI und ein verstärkter Fokus auf Effizienz und Nachhaltigkeit sowie ein wachsender Bedarf an Echtzeitentscheidungen, bspw. durch autonome Anwendungen, haben dazu beigetragen, dass die Relevanz von Sensor-KI-Konzepten in den letzten Jahren gestiegen ist. Zugleich sind fortschrittliche Sensortechnologien erschwinglicher geworden. Aus diesem Grund sind moderne Sensor-KI-Systeme ein „Game-Changer“ und unerlässlich für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit technisch komplexer Systeme.
Das technische Nervensystem
Im Rahmen des dreijährigen DLR-Impulsprojekts SAFER² arbeitet ein Netzwerk aus Experten von 12 Instituten und Einrichtungen zusammen, um gemeinsam fusionierte Sensor-KI-Ansätze zu entwickeln. Ziele des Projekts sind u.a. die Schaffung einer konsistenten Sensordatengrundlage, die Entwicklung robuster KI- und Regelungsmethoden sowie die Erprobung der Praxistauglichkeit der Methoden an fünf Hardware-Demonstratoren.
Die miteinander vernetzten Sensoren und die KI-Modelle bilden eine Art „Nervensystem“ aufgrund der Analogie in ihrer Topologie und Funktionsweise. Ähnlich wie beim menschlichen Nervensystem können Sensor-KI-Systeme verschiedene innere und äußere Einflüsse erfassen und ganzheitlich interpretieren, um ein umfassendes Bild der Umgebung oder des Systems zu erhalten. In Kombination mit Reglern und Aktuatoren kann in Echtzeit auf sich ändernde Umstände reagiert werden. Sensor-KI-Systeme können vielfältig eingesetzt werden: Für autonome Anwendungen, wie Fahrzeuge und Drohnen, zur Vereisungserkennung an Rotorblättern oder zur Detektion von Strukturschäden an Windenergieanlagen. Sie tragen zu einer verbesserten Zustandsüberwachung und -bewertung bei, minimieren das Risiko schwerwiegender Schäden oder kritischer Zustände durch frühzeitige Erkennung und erhöhen die Sicherheit für Personen und Anlagen.
Vorausschauende Lösungen für Windenergieanlagen
Laut Bundesverband Windenergie e.V. und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sind derzeit etwa 30.000 Windenergieanlagen in Deutschland in Betrieb mit einer Leistung von rund 125 TWh, was knapp 22 % der Bruttostromerzeugung in Deutschland entspricht. Ein weiterer Ausbau der Windenergie ist geplant. Damit spielen Windenergieanlagen eine entscheidende Rolle in der Energiewende.
An unserem Institut befassen wir uns in SAFER² mit dem Aspekt, Sensordaten in Kombination mit einem KI-Modell zur Erkennung von Strukturschäden an Windenergieanlagen zu verwenden. Dies umfasst die Interpretation von Zustandsgrößen, wie Dehnungen und Verformungen, und die Bestimmung lokaler Steifigkeits- und Spannungsverteilungen mit KI-Algorithmen, auf deren Basis die Strukturintegrität bewertet werden kann. So können Schäden durch Impacts und Materialermüdung frühzeitig erkannt, Prognosen zur Lebensdauer getroffen sowie vorausschauende Wartungsmaßnahmen („Predictive Maintenance“) eingeleitet werden, wodurch sich Ausfallzeiten reduzieren lassen.
Auf Basis verfügbarer Messdaten aus abgeschlossenen Windprojekten, wie Smartblade2 und DFWind2, wurde ein erstes KI-Konzept entwickelt: Ein Multi-Layer Perceptron, das mithilfe des Backpropagation-Lernverfahrens für relevante Lastszenarien lokale Steifigkeitsverteilungen und -veränderungen ermittelt. Für kleine, abstrahierte Modelle können bereits Fehlergenauigkeiten mit einem mittleren quadratischen Fehler unter 5 % und einem Bestimmtheitsmaß über 95 % erzielt werden. Im Weiteren erfolgt u.a. die Applikation auf realitätsgetreue Windenergieblattmodelle und die Erweiterung der verfügbaren Sensordaten durch Implementierung virtueller Sensoren, welche die Datengrundlage an den Stellen erweitern sollen, wo keine Sensordaten vorliegen.
Mithilfe neuer Messdaten aus geplanten experimentellen Untersuchungen wird das bestehende KI-Modell weiterentwickelt und validiert. Als physischer Hardware-Demonstrator dient eine Windenergieblattspitze, die im Windkanal DNW-NWB am DLR Standort Braunschweig untersucht wird