Die betriebssichere Auslegung von thermisch belasteten Leichtbaustrukturen ist eine besondere Herausforderung. Strukturen in und um Triebwerksbereiche, wiederkehrende Raumfahrtstrukturen und strukturelle Umgebungen von Batterie- und Brennstoffzellen müssen einer folgenreichen Kombination von Temperatur und mechanischer Belastung widerstehen: Zum einen wirken die Wärmedehnungen als zusätzliche Lasten, zum anderen erweicht die Matrix bei hohen Temperaturen. Beides führt fatalerweise zu einer Traglastreduktion. Zudem ist meist unsicher, wie die Thermallasten im Bauteil auftreffen und welchen Schwankungen sie unterliegen. Aufgrund dieser Komplexität verwendet die bisherige Auslegung Vereinfachungen und konservative Annahmen. Strukturversuche zeigen jedoch, dass auch oberhalb typischer Einsatztemperaturen mechanische Tragreserven existieren. Um diese Potenziale zu nutzen, haben wir eine neue Berechnungsmethodik entwickelt, die räumliche Temperaturverteilungen berücksichtigt. Funktionale Zusammenhänge erlauben nun sogar analytische Vorhersagen, welche Leichtbaupotenziale freigesetzt werden können.
Temperaturabhängigkeit und räumliche Verteilung
Die heutigen konservativen Annahmen leiten sich aus „Worst-case“-Szenarien ab. Dabei erfolgt die Festlegung der Designtemperatur mit einer größtmöglichen Risikobetrachtung durch eine gleich verteilte Worst-case-Temperatur. Eine weitere Sicherheitsmaßnahme bei der Strukturauslegung ist die Annahme von last- und temperaturabhängigen Abminderungsfaktoren. In der Realität treten Thermallasten nur sehr selten gleichmäßig verteilt auf, sondern meist in Form lokaler Hotspots. Eine Berücksichtigung dieser räumlichen Temperaturverteilung erhöht in der Analyse zwar den Detailgrad, aber sie erlaubt die Nutzung potenzieller Lastreserven aus resultierenden Lastumlagerungen. Möglich macht dies ein phänomenologischer Modellansatz, bei dem die Materialeigenschaften fortan als Funktion der Temperatur zu betrachten sind. Als Basis dieser Modellbildung dienen die mit herkömmlichen Methoden charakterisierten Materialeigenschaften bei verschiedenen diskreten Temperaturen. Dieser neue Modellansatz erlaubt nun die Berechnung der räumlichen Temperaturverteilungen, der thermisch induzierten Verformungen und schließlich auch analytische Bewertungen der Tragfähigkeit.
Nach vielen Unsicherheiten nun zur Sicherheit
Welche Temperaturverteilung sich in einem Bauteil konkret einstellt, unterliegt diversen Unsicherheiten, wie z. B. den nicht vorhersagbaren Umgebungsbedingungen. Hier hilft nun ein statistischer Ansatz mit einem Parameterraum, der die etwaige Form und Größenordnung der Temperaturverteilung beschreibt. Er definiert den Rahmen für wiederholte Strukturanalysen mit verschiedenen Parameterkombinationen. Die Berechnung der Temperaturverteilung funktioniert sogar automatisiert: Das wiederholte Durchführen der thermomechanischen Analyse generiert bei unterschiedlichen Temperaturverteilungen entsprechend abweichende Designlasten. Diese Ergebnisse führen zu einem probabilistischen Modell, aus dem die maximale Designlast als Funktion der Temperaturverteilung ablesbar ist.
Fazit: Mit Hilfe einer detaillierten Modellierung, die thermische Größenabhängigkeiten berücksichtigt, lassen sich ursprüngliche Annahmen, die aus Unsicherheiten herrühren, in praxisorientierte Vorgaben mit einer mindestens gleichermaßen sicherheitsbetonten Risikobewertung überführen. Je nach Anwendung entstehen dadurch neue Leichtbaupotenziale im Design von etwa 2 bis 10 %.
Ausblick
Erfreulicherweise erlaubt die neue Berechnungsmethodik weitere verbesserte Analysemöglichkeiten, wie z. B. die Bewertung von thermomechanischen Strukturversuchen oder auch eine In-situ-Strukturbewertung, und das alles unter Beachtung gemessener Temperaturwerte. Sie kann somit zu einer realistischeren Bewertung sowohl des aktuellen Strukturzustands als auch des Lebenszyklus beitragen.