Beim Zulassungsprozess von Segelflugzeugen gehören zu jedem Großbauteil neben Berechnungen auch Versuche. Mit diesen Versuchen wird einerseits nachgewiesen, dass die Flugzeugstruktur in der Lage ist, die auftretenden Lasten zu tragen. Andererseits können Konstrukteure durch sie aber auch mehr über das Versagen komplexer Strukturen lernen. Die Durchführung von zwei Rumpfversuchen im Prüffeld des Institutes unter voller Instrumentierung bot daher die Gelegenheit, die Rumpfstruktur unter angreifender Last genau zu untersuchen. Die Ergebnisse bieten den Konstrukteuren praktische Erfahrungen, um die Strukturen noch tragfähiger zu gestalten und die Crashsicherheit von doppelsitzigen Cockpits weiter zu erhöhen. Gleichzeitig nutzen sie die Versuche, um Berechnungsverfahren zu validieren und zu verbessern.
Versuch sticht Simulation
Im Entwurfsprozess eines Segelflugzeugs erstellt der Konstrukteur ein digitales Strukturmodell, das der Simulation verschiedener Belastungssituationen dient. Um sich bei der Zulassung aber nicht allein auf Simulationsergebnisse verlassen zu müssen, fordern die zulassenden Behörden zunehmend Bauteilversuche an realen Komponenten. Dabei stellen die Ingenieure die Lasten realitätsnah nach, um die Ergebnisse und Annahmen der Simulationen zu überprüfen. Der Rumpf von Segelflugzeugen ist hierbei besonders interessant, weil er die Überlebenszelle der Piloten bildet und für den Insassenschutz von zentraler Bedeutung ist. Gleichzeitig ist das Versagen sehr komplex, wodurch der Rumpf in den Berechnungen nur schwer beschreibbar ist.
Da nicht alle Belastungssituationen in einem einzigen Versuch abgebildet werden können, führen die Ingenieure mehrere Versuche durch. Für den doppelsitzigen Segelflugzeugrumpf der ‚SB 15‘, dem ‚Segelflugzeug Braunschweig‘ mit der Nummer 15, umfasst das Versuchsprogramm zwei Versuche. Sie wurden im Prüffeld des Institutes für Faserverbundleichtbau und Adaptronik durchgeführt. Die ‚SB 15‘ wurde von Studierenden der Akademischen Fliegergruppe (Akaflieg) Braunschweig entwickelt und gebaut. Die Versuche sind ein Teil der Musterzulassung und wurden von den Studierenden vorbereitet. In Zusammenarbeit mit der Akaflieg ergab sich die Gelegenheit, das Verhalten des Segelflugzeugrumpfes über den für die Zulassung geforderten Rahmen hinaus zu untersuchen.
Zusammen mit der GOM, einem Spezialisten für optische Messtechnik, konnten somit zwei Fragen beantwortet werden: Sind die im Segelflugzeugbau etablierten, einfachen Berechnungsmodelle in der Lage, die entstehenden Beanspruchungen ausreichend genau abzubilden? Und lässt sich die Crashsicherheit doppelsitziger Cockpits mit einem geringen Massenzuwachs weiter erhöhen?
Durch den doppelsitzigen Rumpf bietet sich die Gelegenheit, Daten zu sammeln, zu denen es in der Literatur nur wenig Informationen gibt. Bei einem doppelsitzigen Segelflugzeug sitzen die Piloten hintereinander, anstatt, wie üblich, nebeneinander. Dadurch ergeben sich längere Hebelarme als bei einsitzigen Flugzeugen, bei denen das Versagensverhalten bereits erforscht ist.
Das Versuchsprogramm erfordert die Abbildung aller im Betrieb entstehenden Belastungssituationen. Im hinteren Rumpfbereich werden die Belastungen durch die aerodynamischen Höhen- und Seitenleitwerkskräfte hervorgerufen. Diese Flugsituationen wurden in einem ersten Versuch abgebildet. Die Studierenden und die Mitarbeitenden des DLR zeigen erfolgreich in diesem Versuch, dass der Rumpf den Belastungen standhalten kann. Weil die Messdaten und die rechnerische Auslegung gut übereinstimmen, können darüber hinaus die Berechnungsmethoden den Rumpf ausreichend genau beschreiben.
Wie viel Verformung ist zu viel Verformung?
In dem zweiten Versuch geht es darum die Sicherheitszelle um die Piloten zu testen, indem ein 45°-Einschlag in den Boden nachgestellt wird. Im Gegensatz zu einem realen, dynamischen Einschlag wurde der Versuch statisch durchgeführt. Die Vereinfachung mag zunächst überraschen, allerdings zeigen reale Unfälle und dynamische Versuche, dass die Verletzungsgefahr für die Piloten weniger von starken Verzögerungen während des Einschlages ausgehen. Vielmehr ist das Kollabieren der Sicherheitszelle der kritische Faktor, was die Konstrukteure ausreichend genau in einem statischen Versuch nachbilden können.
Ein statischer Versuch bietet zudem die Möglichkeit einer umfangreichen Instrumentierung und Messtechnik. So haben die Mitarbeitenden der GOM die Deformation der gesamten Cockpithülle während der Versuche optisch gemessen. Durch die gewonnenen Daten können die Ingenieure die lokalen Effekte und Versagensmechanismen verstehen und im Detail erklären. Die Ergebnisse zeigen, dass das Versagensverhalten eines doppelsitzigen Segelflugzeuges von dem eines Einsitzers abweicht und komplexer ist. Wesentlich für den Versagenshergang ist die Deformation unmittelbar an dem Cockpitausschnitt für die Haube, wo sich verschiedene Effekte überlagern. Aufbauend auf den Ergebnissen haben die Studierenden konstruktive Verbesserungen an der Rumpfstruktur erarbeitet, welche sich auch auf andere Cockpits übertragen lassen. Die Änderungen können die Deformation bei einem geringen Massenzuwachs reduzieren, wodurch doppelsitzige Cockpits in Zukunft sicherer werden.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der Akaflieg Braunschweig.
Die Akaflieg Braunschweig ist ein Verein von Studenten verschiedener Fachrichtungen der Technischen Universität Braunschweig. Die Mitglieder verbindet ihre Leidenschaft für die Luftfahrt und das Ziel, innovative und einzigartige Segelflugzeugprototypen zu entwickeln. Deshalb investieren Sie einen Großteil ihrer Freizeit neben dem Studium in ihre Projekte.
Auf dem OSTIV Kongress werden die Ergebnisse der Versuche vorgestellt. Weitere Informationen zum Kongress finden Sie hier.