Der vom DLR entwickelte Kompaktsatellit Eu:CROPIS wurde im Dezember 2018 gestartet. Der Start und die folgende Nachstartphase sind die größten Herausforderungen für die Struktur und Mechanismen des Satelliten, für deren Entwicklung und Tests das Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik die Verantwortung trägt. Eine Besonderheit sind die Gelenke der Solarpaneele, die bei diesem Satelliten erstmalig als Festkörpergelenke aus glasfaserverstärktem Kunststoff ausgeführt wurden.
Entfaltung mit Festkörpergelenken
Platz ist in der kleinsten Hütte, heißt es. Nicht so für den Nutzlastbereich von Raketen, im Gegenteil: Der Raum unter der Nutzlastverkleidung ist knapp und kostbar. Kompakt und faltbar lautet denn auch das Gebot. Daher müssen zum Beispiel die Solarflächen vieler Satelliten vor dem Start platzsparend angelegt und fixiert werden. Nach dem Start und der Trennung von der Rakete wird die Solarflächen-Fixierung gelöst, die Flächen können sich entfalten. Beim Kompaktsatelliten Eu:CROPIS geschieht diese Fixierung durch Bruchbolzen. Sie werden mithilfe einer aus einer Formgedächtnislegierung gefertigten Buchse getrennt. Dazu muss diese auf eine spezielle Auslösetemperatur aufgeheizt werden. Als Mechanismus für die Entfaltung werden gekrümmte Glasfaserbänder verwendet, wie sie von Metallmaßbändern bekannt sind. Diese flexiblen Bänder haben im Vergleich zu Gelenken mit Scharnieren den Vorteil, dass alle Funktionen in einem Element kombiniert werden: das Gelenk, der Federantrieb und das Einrasten in die Endposition. Dabei reiben keine Teile aufeinander. Mangelnde Gleitfähigkeit oder schlechte Passung sind kein Problem mehr: Ein Riesenvorteil im luftleeren Raum mit starken Temperaturschwankungen. Nebenbei hilft das einfache Design bei der Gewichtseinsparung.
Testen der Entfaltung
Funktionstests von Raumfahrzeugen sollen die Bedingungen im Orbit so genau wie möglich simulieren; nur so können mögliche Fehler im System aufgedeckt werden. Im Orbit wirkt keine nennenswerte Schwerkraft auf die Solarflächen. Entsprechend schwache Gelenke genügen zur Entfaltung. Beim Test am Boden muss dagegen ihre Masse unter Gravitation kompensiert werden. Dazu wird ein mit Helium gefüllter Wetterballon verwendet. Gut austariert beeinflusst dieser Ballon die Entfaltung lediglich durch eigene Trägheit und Luftwiderstand. Verschiedene Vorversuche und der abschließende Test am Flugmodell zeigen: die Federkraft der Mechanismen reicht aus; die Solarflächen verklemmen sich beim Entfalten nicht. Dazu wurde die gesamte Kette der Entfaltung geprobt: vom Kommando im Kontrollzentrum über das Aufheizen der Mechanismen bis zur Verarbeitung der Telemetrie und des Erkennens der Trennung am Temperaturverlauf der Mechanismen.
Entfaltung im Orbit
Trotz erfolgreicher und ausführlicher Tests und Training im Kontrollraum bleibt die Entfaltung der Solarflächen im Orbit ein kritischer Vorgang. Einmal im Orbit, ist es nicht mehr möglich, die Hardware des Satelliten zu korrigieren. Die erprobten Prozesse müssen funktionieren. Die Entfaltung erfolgt durch schrittweise Kommandierung der Fixierungen. So können Fehler frühzeitig erkannt werden. Einer Fehlentfaltung einzelner Solarflächen wird vorgebeugt. Aufgrund der speziellen Mechanismen war zur Analyse und Bewertung des Entfaltungsprozesses auch das Strukturteam an einer Konsole im Kontrollzentrum live vor Ort – eine seltene und aufregende Gelegenheit für ein Strukturentwicklungsteam.
Die Atmosphäre im Kontrollraum ist kaum zu beschreiben: Nach einem letzten „Structure Go!“ kommandiert Flight die letzten Fixierungen; alle vier Paneele werden gleichzeitig entfaltet. Nervenzerreißende Minuten der Stille folgen. Versagen die Solarpaneele, ist die Mission gescheitert. Das Lageregelungssystem des Satelliten würde die entstehende Unwucht nicht ausgleichen können. Gebanntes Starren auf die Bildschirme. Die Temperaturen steigen, … die Drehraten beginnen zu driften, … nichts als leuchtende Graphen in einem abgedunkelten Raum. Minuten vergehen, … LOS (Loss Of Signal). Der Satellit hat seinen Empfangsbereich über der Bodenstation verlassen, der Datenstrom bricht ab. Ganz normal bei einer Satelliten-Mission, aber das erlösende Signal für die erfolgreiche Entfaltung ist noch nicht da. Nun dauert es ca. 90 Minuten, bevor die nächste Bodenstation erneut Daten empfangen kann. Spekulationen und Interpretationen beherrschen die Zeit des bangen Wartens: Steigt diese Kurve hier noch konstant? Wo sind die Daten ihrer Ableitung? Was sagt die Lageregelung, wie hoch ist die Differenz der Drehraten? Die Minuten vergehen immer langsamer, … und dann AOS (Acquisition Of Signal): die flachen Linien auf den Bildschirmen werden für weitere zehn Minuten zu neuem Leben erweckt.
Endlich: Die Analyse der Temperaturverläufe, der Drehraten des Satelliten und nun auch Bildmaterial bestätigen die erfolgreiche Entfaltung. Der abgedunkelte Kontrollraum, seit Stunden ein Ort der Stille und Konzentration, verwandelt sich schlagartig in ein Meer aus Freude, Erleichterung und noch überhaupt nicht gekannten Emotionen. Das gesamte Team aus ca. 60 Wissenschaftlern*innen und Ingenieuren*innen liegt sich in den Armen. Ein kleiner, aber doch so großer Erfolg zu Beginn dieser Mission ist geschafft. Nun können die eigentlichen Arbeiten beginnen.
Acht Monate Betriebszeit und viele Experimente später hat Eu:CROPIS seine maximale Drehrate von ca. 28 U/min erreicht. Die Solarflächen funktionieren nominell. Anhand der Bilddaten sind keine periodischen Schwingungen des Systems zu erkennen. Das Strukturteam hat gute Arbeit geleistet. Aber so denken Ingenieure nicht. Sie stecken längst tief in neuen Missionen. „Beim nächsten Mal können wir es noch besser machen!“