Das Experiment TAGES (TApe Spring HinGES) entfaltet Festkörpergelenke unter Schwerelosigkeit.
„Keep it simple“ ist ein Leitsatz, der sich auf viele Situationen des Lebens anwenden lässt. Besonders in der Raumfahrt ist er von großer Bedeutung, da Korrekturen an einem fehlgeschlagenen System meist unmöglich sind. „Das beste Bauteil ist kein Bauteil“ hat Elon Musk in einem Tweet verkündet. Was nicht da ist, kann nicht kaputt gehen. Ein zuverlässiges System ist somit auf das absolut Notwendigste zu beschränken.
Ein Tape Spring Hinge (zu Deutsch „Feder-Band-Scharnier“) ist ein passendes Beispiel. Ein übliches Scharnier besteht aus mindestens zwei Teilen, einem Fest- und einem Losband. Beide sind über eine Drehachse verbunden. Für weitere Fähigkeiten, wie eine exakte Endposition oder eine definierte Öffnungskraft, sind weitere Bauteile erforderlich.
Das Tape Spring Hinge vereinigt diese Funktionen in nur einem Bauteil, eine erprobte Technologie, die das DLR bereits eingesetzt hat. So diente sie auf dem Kompakt-Satelliten Eu:CROPIS zur Entfaltung der Solarpaneele.
In diesem Artikel geht es speziell um das Entfaltungsverhalten von Tape Spring Hinges unter Schwerelosigkeit. Eine Gelegenheit zu dessen Untersuchung bot die 37. DLR- Parabelflugkampagne.
So nah wie möglich an der Realität testen
Auch bereits erfolgreich eingesetzte Systeme bieten immer noch Potenziale für Weiterentwicklungen. Um die Entfaltung der aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigten Tape Spring Hinges erstmalig zu qualifizieren, diente ein Heliumballon zur Schwerkraftkompensation. Ein Test unter „echter“ Schwerelosigkeit war zur damaligen Zeit nicht möglich. Die Teilnahme an einer Parabelflugkampagne eröffnete nun neue Wege, das Verhalten eines Solarpaneels während der Entfaltung unter Schwerelosigkeit zu untersuchen. Diese Versuche helfen daher nicht nur, das Verhalten eines Systems zu testen und zu verstehen, sie helfen auch, alternative Testmethoden zu optimieren und zu validieren.
Bei der Qualifikation mittels Schwerkraftkompensation hängt das Solar Paneel an einem Heliumballon. Dieser hebt zwar die Gewichtskraft des Paneels gegenüber der Schwerkraft auf, blockiert jedoch das Paneel in mehreren Freiheitsgraden. Zudem beeinflusst die Trägheit des Ballons das dynamische Systemverhalten. Es ist weiterhin anzunehmen, dass auch der Luftwiderstand des ca. 0,8 m² großen Paneels Einfluss auf das dynamische Verhalten der Entfaltung hat.
Das Ziel von TAGES ist daher, die Bewegung des Paneels um alle Raumachsen zu untersuchen. Als variable Parameter dienen hierbei Tape Spring Hinges mit unterschiedlichen Steifigkeiten sowie spezielle Geometrien zur Erhöhung der Robustheit und ein „drag sail“ zur Variation des Luftwiderstands des Dummy Paneels.
Der mechanische Aufbau von TAGES
Der Aufbau des Experiments ist denkbar einfach. Ein Dummy aus Aluminiumprofilen ersetzt das Solarpaneel. Der Dummy besitzt die gleiche Masse und Trägheit wie das bereits qualifizierte Paneel, besteht jedoch nur aus einem offenen Rahmen. Er lässt sich somit offen mit vernachlässigbarem Luftwiderstand oder mit einer Folie (drag sail) bespannt als vollflächiges Paneel testen.
An einer Seite des Paneels sind die Tape Spring Hinges mittels Schnellverschluss angeschlagen. Sie bestehen aus einem rechten und einem linken Paket, das jeweils zwei gegenüberliegende Tape Springs beinhaltet. Der Gegenpart für die zwei Hinge Stacks ist ein Rack, dass die Schnittstelle zwischen Experiment und den Sitzschienen der Flugzeugkabine darstellt. Eingeklappt, also mit gespannten Hinges, liegt das Paneel horizontal auf dem Rack. Es ist dort mittels eines Ringösens-Mechanismus‘ gesichert. Zum Auslösen einer Entfaltung lässt sich der Mechanismus manuell entriegeln und das Paneel kann sich, angetrieben durch die gespeicherte Energie der Hinges, selbstständig um 90° vertikal entfalten.
Solange die Hinges nicht vollständig entfaltet und damit eingerastet sind, ist das Paneel in allen Achsen frei beweglich. Dies kann zu ungleichmäßigen Bewegungen, beispielsweise einem Pendeln führen. Beim Versuch unter Schwerkraftkompensation hat dies der Aufbau blockiert. Daher liegt die Aufmerksamkeit dieser Versuche besonders auf dem Pendelverhalten.
Als Messdaten für die Bewertung der Entfaltung dienen laterale und rotatorische Beschleunigungswerte sowie Videoaufzeichnungen aus unterschiedlichen Beobachtungswinkeln.
Einfach Schweben
Die Experimente verliefen erfolgreich und bestätigten die Erwartungen. Schwankungen des Gravitationsvektors beeinflussten jedoch die Entfaltungsgeschwindigkeit. Eine von 28 Entfaltungen musste vor dem Eintritt in die Hyper-G Phase abgebrochen werden. Alle weiteren Entfaltungen verliefen erwartungsgemäß und endeten mit einem vollständigen Einrasten der Hinges. Zwischen den einzelnen Parabeln blieben 90 Sekunden Zeit, um das Paneel von Hand einzuklappen. Da keins der filigranen Bauteile eine Beschädigung davontrug, haben die Tape Springs damit ihre Robustheit unter Beweis gestellt.
Die theoretisch ermittelte Entfaltungsdauer von ca. 10-15 Sekunden hat sich unter der Berücksichtigung der Randbedingungen bestätigt.
Hat es sich gelohnt?
Das freie Schweben des Paneels ohne blockierte Freiheitsgrade ermöglicht gegenüber der schwerkraftkompensierten Methode ein besseres Verständnis des dynamischen Verhaltens des Paneels. Dies gilt insbesondere beim Erreichen der Endposition und dem Einrasten der Tape Spring Hinges. Auch der Moment des Lösens von den Auflagepunkten war gut zu beobachten und hat wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Optimierungen geliefert. Kritische Pendelbewegungen ließen sich nicht wahrnehmen, ein gutes Indiz für die zuverlässige und gleichmäßige Fertigungsqualität der Tape Springs. Das „drag sail“ hatte keinen messbaren Einfluss auf das Experiment.
Nicht nur das Experiment als solches hat neue Erkenntnisse geliefert, auch das persönliche Erleben der Schwerelosigkeit erweitert das Verständnis über das Verhalten von Objekten unter Schwerelosigkeit. Diese Erfahrung wird ebenso in zukünftige Entwicklungen einfließen frei nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“.
Bei weitergehendem Interesse sowie Fragen steht Ihnen Herr Dipl.-Ing. Thilo Glaser jederzeit sehr gern zur Verfügung.