Im Juli 2021 fand die 37. DLR-Parabelflugkampagne statt. Mit dabei war auch der Leiter des DLR_School_Lab in Braunschweig, Frank Fischer. Seine Aufgaben: über die Kampagne als DLR_next-Reporter für Twitter berichten, die Hardware für ein Education-Projekt im Rahmen der ISS-Mission von Matthias Maurer testen sowie ein Experiment aus dem Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik unterstützen, indem er zuvor tätig war.
Hier ist sein Bericht.
16.07.2021, Flughafen Paderborn:
Tristes graues Wetter, aber ein fantastischer Anblick: Vor einem Hangar des Flughafens steht der Parabelflieger Airbus A310 Zero G. Bei Luft- und Raumfahrtfans löst er sofort ein gewisses Prickeln aus. Er hat als eines der ersten West-Flugzeuge der längst vergangen DDR-Fluglinie Interflug und als späteres VIP-Flugzeug der Bundesregierung bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Heute steht er für den Traum vom Erlebnis der Schwerelosigkeit und von großartigen Möglichkeiten für die Forschung. Die Schwerelosigkeit ist das zwingend benötigte Mittel, um die gesamte Bandbreite an Raumfahrt-Forschungsthemen abzudecken – von der Grundlagen-Physik über die Humanbiologie bis hin zum Test von Weltraum-Strukturen. Denn eines stört auf dem Erdboden jegliche Tests und Messungen immer: die Schwerkraft.
Die Untersuchung von Metalllegierungen veranschaulicht es ganz schön. Die Schwerkraft beeinträchtigt die gleichmäßige Durchmischung verschiedener aufgeschmolzener Metalle mit deutlich unterschiedlicher Dichte erheblich. Ähnlich wie bei einem Kakao-Getränk sinken die schwereren Teilchen sofort Richtung Boden ab. Noch kritischer ist es bei entfaltbaren Weltraum-Strukturen wie Solarzellenflächen, Antennen oder ähnlichem. Bloß weil es auf der Erde bei Tests mit den Entfaltungen klappt, besteht keine Garantie, dass es auch im Weltraum so sein wird.
Es gibt jedoch einen kleinen Haken: An Bord der Internationalen Raumstation ISS können jegliche Experimente in der Schwerelosigkeit nahezu beliebig lange dauern. Bei einem Parabelflug muss das Experiment binnen 20 Sekunden durchführbar sein, auch wenn 30 Parabeln pro Flug für das wiederholte Testen zur Verfügung stehen. So ist das Timing von besonderer Bedeutung, denn die Experimente dürfen sich auch untereinander nicht beeinflussen.
Um dies sicherzustellen, wurden alle Experimente über Monate vorbereitet, dokumentiert und vom Betreiber „novespace“ der A310 prinzipiell für den Flug zugelassen. Doch das grundsätzliche „Go“ ist nur die erste Hürde: Die finale Entscheidung fällt erst vor Ort. Nach dem tagelangen Aufbau aller Experimente im Hangar erfolgt die Prüfung auf ihre Sicherheit und Funktion, bevor die Hardware dann wirklich an Bord kommen darf.
Aber auch bei den Experimentteams ist ein spontanes Abheben nicht möglich. Auch die Mitfliegenden müssen sich gezielt auf den Flug vorbereiten. Zunächst muss jedes Teammitglied einige Wochen vorher eine Flugtauglichkeitsuntersuchung (medical) bestehen. Der menschliche Körper ist durch den mehrfachen Wechsel zwischen Gravitation und Schwerelosigkeit beim Fliegen der Parabel erheblichen Belastungen ausgesetzt. Das Flugzeug beginnt mit einem 45°-Steigflug, der die Passagiere mit 1,8-facher Erdgravitation bzw. Beschleunigung niederdrückt, um dann auf dem Scheitelpunkt der Parabel die Schwerelosigkeit auszulösen. Nach 20 Sekunden folgt ein 45°-Sinkflug der ebenfalls die 1,8-fache Erdbeschleunigung ausübt.. . . Aus diesem Grund hocken, sitzen oder liegen die Experimentatoren während der Steig- und Sinkflüge am Boden.
Für die Testsequenz der Hardware für das Schulprojekt „Hand in Hand um die Welt“ von ESA-Astronaut Matthias Maurer wurde sogar an einem der anderen Flugtage im Parabelflug getestet, ob der DLR_School_Lab-Leiter ausnahmsweise die Parabel für den Test sogar im Stehen fliegen darf. Diese Konfiguration fordert den Körper noch stärker, da das Blut in der sogenannten Hypergravitationsphase mit 1,8 g in die Beine absackt und ein Blackout bzw. Greyout – also eine Wahrnehmungsstörung durch Blutunterversorgung droht.
Es läuft alles völlig problemlos und die Vortests der Hardware sind auch sehr erfolgreich.
Generell können sich alle eine Stunde vor dem Abflug das Medikament Scopolamin zur Vorbeugung gegen Übelkeit spritzen lassen, denn klar ist: eine Umkehr oder Rücksichtnahme auf das persönliche Wohlbefinden kann es nicht geben, denn die Experimente sind das Wesentliche und müssen durchgeführt werden. Pandemiebedingte Auflagen wie tägliche Corona-Tests und Temperaturmessungen sind aktuell ein zeitgemäßes Add-on.
23.07.2021: der Tag X ist endlich da!
Das Flugzeug hatte an drei vorausgehenden Flugtagen der Parabelflugkampagne andere Experimente von diversen Forschungseinrichtungen aus einer Vielzahl an Disziplinen an Bord, sodass der Ausbau dieser Experimente und der Einbau der neuen Experimente schnell und effizient gehen musste. Nach der Umrüstung der A310 Zero G auf die Experimente des Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, die teils in Kooperation mit der NASA stattfinden, geht es los. Das Flugzeug erinnert nur noch im Heck mit wenigen Economy-Passagiersitzen an ein Verkehrsflugzeug. Ansonsten verfügt es über einen Raum für die Experimente, der mit weißen Matten ausgelegt ist. Die Besatzung führt auf dem Weg zur Startbahn die stets übliche Sicherheitsunterweisung inklusive der Nutzung von Sauerstoffmasken und Schwimmwesten durch. Für die Tests mit diesen ungewöhnlichen Flugmanövern geht es raus in den Bereich der Bucht von Biscaya.
Alle fünf Experimente des Instituts sowie die Experimentbetreuer sind bereit. Aus Lautsprechern tönt die Stimme des Piloten in Englisch mit sympathischem französischem Akzent „30 seconds… 20… 10… 5… 3, 2, 1, PULL UP.“ Die Trägheitskräfte nehmen zu bis alle und alles vertikal mit 1,8 g Richtung Boden gedrückt wird. Selbst an den Wangen sind die nach unten wirkenden Kräften zu spüren. Die Beinmuskulatur arbeitet schwer. Das Atmen erfordert auch mehr Kraft. Währenddessen bleibt der Kopf ganz starr und der Blick fixiert einen Punkt. Dies ist eine Maßnahme, die die Übelkeit als Folge der Verwirrung des Gleichgewichtsorgans verhindern soll. All dies geschieht, während aus dem Cockpit die Anstellwinkel des Flugzeugs angesagt werden „30… 40…“ und dann kommt das magische Wort „INJECTION“ und in diesem Moment setzt die Schwerelosigkeit ein.
Aber wie fühlt sie sich an?
„Die Schwerelosigkeit ist ein fantastisches, glücklich machendes Gefühl. Wie sich im Wasser schwerelos treiben zu lassen, aber völlig frei, ohne die Masse und den Druck des Wassers zu spüren. Die Kleidung schwebt ebenfalls und man fühlt sich wie eingehüllt und umweht von der leichtesten Seide der Welt. Das Unfassbare: Die Schwerelosigkeit fühlt sich nicht fremd an, sondern wie ein natürlicher, vertrauter Zustand. Kein komisches Kribbeln im Bauch. In der Schwerelosigkeit spürt man anders als auf Achterbahnen oder beim Trampolinspringen keine Beschleunigungen, sondern treibt wie in einem Luftmeer umher. Das ist eines der schönsten Gefühle überhaupt.“
Nach 30 Parabeln mit Experimenten kündigt die englischsprachige Cockpitansage das Ende des Fluges und damit die schlagartig einsetzende Hypergravitation an mit den Worten „20… 30… PULLOUT“. Wenig später sitzen alle wieder auf ihren Plätzen und die Gesichter spiegeln eine Mischung aus Zufriedenheit wie auch Müdigkeit nach den Anstrengungen wider. Die Durchführung aller Experimente lief durch durchweg erfolgreich und die Anspannung der letzten Tage macht der Erschöpfung Platz.
Kaum in Paderborn angekommen, werden die Experimente aus dem Flugzeug wieder ausgebaut. Dann beginnt die Heimreise. Was bleibt, sind exzellente Forschungsergebnisse aus Untersuchungen, die oft mit dem Parabelflug ihren Abschluss finden. Die Entwicklungen sind dann reif für den Einsatz bei Raumfahrtmissionen. Auf die spannenden Experimente des Parabelflugs des Instituts werden noch viele hochinteressante Artikel und Berichte (und Bücher) folgen, so dass das Abenteuer Parabelflug in anderer Form weitergeht.